14/11/2025 0 Kommentare
Auf Ablösung hoffen
Auf Ablösung hoffen
# Zum Weiterdenken

Auf Ablösung hoffen
Von Pfarrer Sven Wollert

Sie sind gerade 16: Mein Sohn und seine Freunde. Aus den Kindern von gestern werden gerade die jungen Männer von morgen. Als Vater höre und lese ich die Nachrichten über die Neuausrichtung der Bundeswehr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht anders. Wir fangen an zu rechnen: Gehören sie schon zu denen, die gemustert werden sollen? Werden sie Teilnehmer am Losverfahren? Oder entscheiden sie sich freiwillig zur Bundeswehr zu gehen?
Rückblende 1986: Reinhard Mey veröffentlicht sein Lied „Nein, meine Söhne geb ich nicht“. Den einen spricht er aus dem Herzen. Die anderen verdammen die pazifistische Grundhaltung. Kaum hat einer hat 1986 damit gerechnet, dass der sogenannte Kalte Krieg bald in sich zusammenfallen würde.
Rückblende 1993: Ich fahre 18jährig nach Kassel zur Musterung – Kreiswehrersatzamt in der Ludwig-Mond-Straße. Anspannung ja, aber damals schien die Entscheidung Bund oder Zivi nicht mehr die Tragweite zu haben. Es sah ja so aus, als würden wir von Freunden und Partnern umzingelt. Die Entscheidung nahm mir dann die Stabsärztin ab: 5 – untauglich. Ich war erleichtert.
Heute: Ich bereite meine Gottesdienste für den Volkstrauertag vor und lese einen Vers, der meine Zerrissenheiten ausdrückt: „Wenn du mich aber versteckst, könnte ich warten – wie einer im Kriegsdienst auf seine Ablösung hofft.“
Ich denke an die vielen, die in den Kriegen ausgeharrt haben oder noch immer ausharren – gezwungen oder aus Überzeugung. Und ich ahne, wie sehr sie hoffen, dass die Ablösung kommt. Oder der Frieden. Und ich hoffe, dass meinem Sohn und seinen Freunden diese Erfahrung erspart bleibt. Denn Gott will Frieden.
Sven Wollert ist Pfarrer im evangelischen Kirchspiel Wilhelmsthal für die Kirchengemeinden Ehrsten, Meimbressen und Obermeiser-Westuffeln.
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